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Joachim
Lucchesi
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- OPERN-POLITIK. DIE
KONTROVERSE UM BRECHT/ DESSAUS
- LUKULLUS-OPER
1951
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- Vermutlich 1951 schrieb Brecht eine
Notiz nieder, die dem Umkreis der Kontroversen um die
Lukullus-Oper 1951 entstammen könnte und den
Grundkonflikt auf den Punkt brachte:
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- "Wenn man nun alte Musik als
exemplarisch hinstellt, benutzt man Musik, die konfliktlos
erscheint, weil die Konflikte, die sie gestaltet, heut in der
Realität gelöst sind. Wie sollen wir mit diesen Exempeln
vor den Ohren die Konflikte unserer Zeit, die ungelösten,
gestalten?" 1
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- Kunst und Politik: Brecht hat als
Resultat dieses Zusammendenkens immer wieder Provokationen
erzeugt: so 1930 nach der Maßnahme-Premiere in Berlin
und der Leipziger Uraufführung seiner Mahagonny-Oper
im selben Jahr. Zuschauer und Medien des breiten Parteien- und
Religionsspektrums der Weimarer Republik reagierten provoziert auf
diese und andere Beispiele Brechtscher Theaterkunst. Staatliche
Konsequenzen folgten bald: 1935, zwei Jahre nach seiner Flucht aus
Deutschland, erfolgte Brechts Ausbürgerung durch die
nationalsozialistischen Machthaber. 1947 schließlich wurde
dem im kalifornischen Exil lebenden Dichter eine Ladung vor den
"Ausschuß für unamerikanisches Verhalten" zugestellt,
wo er insistierende Fragen nach seiner KPD-Mitgliedschaft
wahrheitsgemäß verneinte, die sozialistischen und
kommunistischen Projektionsziele seiner Werke taktisch aufs
Antifaschistische beschränkte und sich valentinesk
herausreden konnte. Beide Ereignisse, begründet in
faschistischer Kulturpolitik und amerikanisch-antikommunistischer
Hysterie, konnten dem Dichter nichts anhaben.
- Wohl kaum aber konnte er ahnen,
daß er achtzehn Monate nach Gründung der DDR den ersten
großen kulturpolitischen Konflikt des Staates mit der
Lukullus-Oper auslösen sollte, der sogar internationale
Reaktionen nach sich zog.
- Im Kontext von inzwischen
veröffentlichten Dokumenten aus dem Berliner Brecht-Archiv
sowie den DDR-Staatsarchiven scheint Brechts Optimismus, mit dem
er die Lukullus-Kontroverse noch 1951 als "erfrischend und
lehrreich"2 charakterisiert hatte, eher verharmlosend.
Brecht irrte sich in seiner Hoffnung, daß eine
fortschrittliche sozialistische Gesellschaft auch
fortgeschrittener Kunst auf der Höhe der Zeit bedürfe,
in der Naivität, intellektueller Anspruch, Unterhaltsamkeit
und affirmativer Nonkonformismus sich zu produktiver politischer
Reibung und kritischer Nachdenklichkeit
vereinigen.
- Der 17. März 1951 war in Ostberlin
ein politisches und theaterhistorisches Datum zugleich. An jenem
Tag endete die 5. Tagung des Zentralkomitees der SED, auf der Hans
Lauter, Sekretär für Kulturfragen, eine folgenreiche
Rede hielt, die in einem engen Bezug zum selben Abend stand, an
dem die Uraufführung der Lukullus-Oper
stattfand.
- Der in der Literatur als
Lukullus-Debatte bekannte Konflikt ist deshalb genauerer
Betrachtung wert, weil er der erste Modellfall für das
Spannungsverhältnis zwischen Geist und Macht in der DDR
wurde. Darüberhinaus ist die Oper mit ihrer langen
Werkgeschichte zugleich auch eingebettet in den Kontext von
Faschismus, Vertreibung, Exil, Kaltem Krieg und der Gründung
zweier deutscher Staaten. Ebenso gelten die schon vor ihrer
Uraufführung aufbrechenden kulturpolitischen Konflikte als
Ausgangspunkt und Wegbereiter für künftige,
folgenschwere Entwicklungen wie der Faustus-Debatte 1953,
dem 11. Plenum 1965 mit den dort beschlossenen Restriktionen gegen
die zeitgenössische DDR-Kunst oder der Ausweisung Wolf
Biermanns 1976 aus der DDR.
- Brechts Lukullus-Text, Ende 1939
zusammen mit seiner Mitarbeiterin und Geliebten Margarete Steffin
im schwedischen Exil geschrieben, war zunächst als
Hörspiel für den Stockholmer Rundfunk geplant. Die an
zahlreichen Stellen von Brecht vorgesehene Musik - fast schon eine
Funkoper - sollte der Komponist Hilding Rosenberg schreiben. Doch
das geschilderte Verhör des römischen Feldherrn und
Feinschmeckers Lukullus in der Unterwelt ist kaum ein Fabulieren
über antike Stoffe. Denn die Nähe zum deutschen
Feldherrn und Wagner-Liebhaber Adolf Hitler liegt 1939 auf der
Hand: Brecht schlägt in einer kleinen Arbeitsnotiz für
die Lukullus-Partie einen Tenorbuffo vor, der stimmlich an Julius
Lieban erinnern soll3, einem vor 1933 bekannten
Wagner-Sänger in Berlin. Der Führer als Heldentenor
Richard Wagners. Noch verschiedentlich wird Brecht in sein
Gesamtwerk diese beziehungsreiche Metapher einflechten,
musikalische wie politische Verführungsgefahr damit
aufzeigend. Doch fürchtet er zugleich, daß mit dem
Hörspiel die Grenze dessen erreicht sei, was 1939 in Schweden
politisch noch gesagt werden konnte. Er irrte sich, sie war
bereits überschritten, der Rundfunk zog seinen Auftrag
zurück. Die schwedische Neutralität forderte
Rücksichtnahme auf deutsche Empfindlichkeiten.
- Nachdem Brecht 1948 nach Berlin
zurückgekehrt war, ließen dortige Ereignisse den Stoff
aufs Neue aktuell werden. Vom Nordwestdeutschen Rundfunk Hamburg
wurde Interesse an einer Funkoper bekundet. Paul Dessau,
inzwischen ebenfalls in Berlin eingetroffen, hatte bei diesem
Projekt die Idee, von einer kleinen, radiophonisch abgestimmten
Orchesterbesetzung auszugehen. Doch auch dieses Rundfunkprojekt
scheiterte und es lag nahe, die begonnene Komposition für die
Opernbühne umzuformen.
- Eine erste Fassung der Musik wurde im
Dezember 1949 hergestellt und auf Empfehlung Caspar Nehers zur
Aufführung an der Deutschen Staatsoper Berlin eingereicht.
Zwei Monate später legt der Intendant der Deutschen
Staatsoper, Ernst Legal, das Textbuch dem Ministerium für
Volksbildung zur Begutachtung vor. Man ist dort zu keiner
schnellen Antwort bereit. Anfang März mahnt Legal die
Entscheidung dieser ihm übergeordneten Behörde noch
einmal energisch an, wohl ahnend, daß nicht nur dieser Oper,
sondern dem gesamten zeitgenössischen Opernschaffen eine
Evaluierung nach formalistischen Kriterien drohe:
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- "Wenn nicht in kürzester Zeit dazu
Stellung genommen werden kann, geht uns das moderne, gegen Krieg
und Kriegsgefahr gerichtete Werk verloren. Wenn auch meine
persönliche Stellung dazu lediglich die eines Kunstpolitikers
ist, so finde ich doch, daß in dieser Beziehung
Bedenklichkeiten gesehen werden, wo gar keine sind, oder daß
entweder die politische Auswirkung einer Aufführung
überschätzt und das selbständige Denken des
Publikums und sein Recht auf Orientierung unterschätzt
wird"4.
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- Im April 1950 kommt von der
Hauptabteilung Kunst und Literatur des Volksbildungsministeriums
die entscheidende Antwort: die Lukullus-Oper dürfe in
den Spielplan aufgenommen werden. Obwohl die offizielle
Genehmigung nunmehr vorlag, begann die Inszenierungsarbeit nicht
sofort. Zum einen mußte ein geeigneter Dirigent gefunden
werden. Ernst Legal verpflichtete den auf neue Musik
spezialisierten und in der Schweiz lebenden Hermann Scherchen. Zum
anderen arbeitete Dessau noch während des restlichen Jahres
1950 intensiv an der Partitur.
- Doch die sich inzwischen abzeichnende
politische Entwicklung war für das verzögerte
Opernprojekt alles andere als günstig. Anfang 1948 begann in
Moskau eine intensive Kampagne gegen den Formalismus in der Musik,
in deren Verlauf auch Kompositionen von Dmitri Schostakowitsch,
Aram Chatschaturian und Wano Muradeh als volksfremd und westlich
dekadent kritisiert und verboten wurden.
- Es zeigte sich jedoch bald, daß
das Etikett "Formalismus" alles andere als ein klar definierter
Begriff war. Er schien vielmehr wegen seiner Unschärfe und
der daraus resultierenden beliebigen Anwendung geeignet, für
alle möglichen Gründe der Kritik herzuhalten: Diese
entwickelten sich bei den Kritikern aus Unsicherheit und
Unvertrautheit gegenüber zeitgenössischen
Kunsttendenzen, aus Überzeugung von der Unbrauchbarkeit der
kapitalistischen Moderne, aus Furcht vor kosmopolitischer,
insbesondere amerikanischer "Überfremdung" der
sozialistischen Nationalkultur, aber auch aus persönlichen
Aversionen, Rivalitäten und kollegialem Neid.
- Die nach dem Politbüro-Mitglied und
Generaloberst Andrej Shdanow benannte Kunstdoktrin, die sogenannte
"Shdanow-Debatte" griff Ende der vierziger Jahre auch auf andere
Länder des Warschauer Paktes sowie auf die entstehende DDR
über. Während sich in der Presse schon frühzeitig
die Anzeichen für eine kulturpolitische Neuorientierung nach
sowjetischem Vorbild mehrten, sollte diese erst mit der 5. Tagung
des Zentralkomitees der SED im März 1951 staatlich
legitimiert werden.
- Es war abzusehen, daß die Partei-
und Regierungsstellen in dem sich verschärfenden Klima ihre
bereits erteilte Aufführungsgenehmigung der immer noch
unaufgeführten Oper neu überdenken mußten.
Käthe Rülicke notiert am 12. März 1951 nach einem
Gespräch mit Brecht:
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- "B. für die Notwendigkeit einer
Übergangsdiktatur, die zwar viele Härten und
Ungerechtigkeiten mit sich bringt, aber in der es um Sein oder
Nichtsein geht. Ästhetische Probleme sind da
zweitrangig.(...) Künste müssen in unserer Zeit
zurückstehen. Formalis. -Diskussion helfe nicht nur nichts,
sondern grober politischer Fehler, da sie die Spaltung
vertiefe.
- Brechts einzige Sorge: Was kann man
retten. Formalismusdebatten Zeichen für Tiefstand der Kunst.
Über die Form diskutierte noch keine gesunde Epoche, es sei
wichtiger, über den Inhalt zu sprechen. Stalins Aufsatz
über Sprachwissenschaft gut, aber nicht wichtig, ob dieses
oder jenes zuträfe, sondern wichtig konkrete historische
Forschung: was verändert sich bei gesellschaftlichen
Umwälzungen, z.B. bei Oktoberrevolution.
- Unserer Zeit fehle bis jetzt
'große Kunst' - außer Brecht, der aber 'Bürger'
sei, 'in Opposition'" 5.
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- Zeitgleich mit dieser
Gesprächsnotiz fällt im Sekretariat des Zentralkomitees
der SED die Entscheidung gegen die Oper, anwesend sind unter den
Beschließenden Walter Ulbricht, Franz Dahlem, Willi Stoph
und Hans Lauter. Vor der Absetzung der Oper plant man jedoch, am
13. März eine Probendiskussion durchzuführen, auf der
staatstreue Genossen und Künstler eine das Verbot
rechtfertigende Kritik üben sollten.
- Zwei Gesprächsstenogramme
verzeichnen die auf Konfrontation abzielende Zusammensetzung der
geladenen Diskutanten. Neben Brecht, Dessau, Helene Weigel, Ernst
Legal und Hermann Scherchen waren unter rund einhundert
Teilnehmern anwesend: der die Debatte leitende (und Brechts Werk
gegenüber mit Unverständnis und Ablehnung behaftete)
Schriftsteller Fritz Erpenbeck, der gegenüber Brecht und
Dessau gleichermaßen kritisch eingestellte Komponist Ernst
Hermann Meyer, der aus der Schweiz übergesiedelte Musikologe
und Scherchen-Schüler Harry Goldschmidt, der Musikkritiker
Karl Laux, der Theaterkritiker Herbert Ihering, der Musikologe
Nathan Notowicz, der Volksbildungsminister Paul Wandel sowie
Vertreter verschiedener staatlicher und künstlerischer
Verbände.
- Ernst Hermann Meyer, der die Diskussion
mit einem Stalin-Zitat eröffnete, monierte die Häufung
dissonanter Septimen- und Sekundbildungen sowie die
geschärften Bläserakkorde in Dessaus Komposition. Statt
harmonisch entfalteter großer Melodiebögen dominiere
nur Rhythmus, erzeugt durch ein übergewichtiges
Schlagwerkinstrumentarium. Auch der Musikwissenschaftler Nathan
Notowicz sieht eine durch die klassizistische sowjetische
Ästhetik zur Norm erhobene Ausgewogenheit zwischen Melodik,
Harmonik und Rhythmik verletzt:
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- "Ich glaube, daß Paul Dessau mit
den musikalischen Mitteln der Destruktion arbeitet, die sich so
ausdrücken, daß die Elemente der Melodie und Harmonie
auf Kosten des Rhythmus' verkümmern. (...) Destruktion (...)
gehört zum untergehenden Imperialismus, aber nicht dazu, das
Positive, das zu uns gehört, auszudrücken"
6.
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- Der schon nach 1933 publizistisch
tätige und mit kulturpolitischen Schlagworten des Dritten
Reiches vertraute Kritiker Karl Laux geht sogar so weit, von einer
"Unmusik" zu sprechen, da sie auf weiten Strecken lediglich
"geräuschhaft" sei und den Text zudecke. Das Rhythmisieren
zwinge den Sänger zu falschen Betonungen. Dessaus
eingeschlagener Weg führe in die Irre, vergleichbar Carl
Orffs Oper Antigonae 7 von 1949, einem damals
beliebten Musterbeispiel der Formalismuskritik.
- Vehement verteidigt der mit Dessau
befreundete Hermann Scherchen die Oper und war nur durch
Überredungskünste Legals davon abzuhalten, das Dirigat
demonstrativ niederzulegen. Er verweist auf die große
Dichtung Brechts, aus deren Geist die Musik entstanden sei. Man
mache in dieser Diskussion einen "wahnsinnigen Unsinn" und solle
nicht so tun, als ob große Kunstwerke "so gegessen werden
können wie Suppe". Und er fordert: "Lassen Sie uns das Werk
richtig spielen - und vermöbeln Sie uns hinterher wie Sie
wollen"8. Auch der Musikologe Harry Goldschmidt
kritisiert die sich ausschließlich auf Paul Dessau
beziehende Diskussion, da die zwischen Text und Musik bestehende
enge Beziehung hier außer acht gelassen würde. Denn die
Musik mache den Kopf frei im Sinne Brechts. Goldschmidt
schlägt konstruktiv vor, erst Brechts Text zu untersuchen, um
dann Dessaus Musik genauer und gerechter beurteilen zu
können9.
- Und Paul Dessau selber? Er sei, wie er
später in einem Gespräch gestand, damals "furchtbar
enttäuscht" gewesen. Während der Probendiskussion
entgegnete er - wie übrigens auch Brecht - nur wenig. Die
Enttäuschung ließ ihn in seiner Antwort schwanken
zwischen entschiedenem Bedürfnis zur Richtigstellung,
bitterer Ironie und schützender
Förmlichkeit:
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- "Ich danke für den mir erwiesenen
Freundschaftsbeweis, er ist neu und kräftig. Ich will nicht
über meine Arbeit sprechen. Sie kennen sie besser, ich kann
mir das nicht leisten. Ich will über etwas anderes sprechen:
Ich komme mir vor wie der Held in der Oper Brecht/Dessau. Ich bin
angeklagt der Isolation. (...) Es ist nicht so, daß ich die
Werktätigen hasse, aber ich hasse aus tiefstem Herzen den
schlechten Geschmack der Massen. (...) ich bin isoliert von einer
kleinen Schicht der Bevölkerung (...). Ich fühle mich zu
Hause in der Deutschen Demokratischen Republik wie in keinem Land
der Welt"10.
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- Neben dem ebenso stur wie listig
handelnden Ernst Legal setzt sich auch Arnold Zweig für die
Oper ein und versucht, ein unmittelbar drohendes
Aufführungsverbot abzuwenden. Mit einem Teilerfolg gelingt
dies. Als am selben Abend des 13. März eine weitere
Besprechung in kleinem Kreise stattfindet, kann der defensiv
agierende Brecht dank der Hilfe seiner mutigeren Fürsprecher
als Kompromiß eine einzige, allerdings geschlossene
Opernaufführung erwirken. Ernst Legal läßt sie
ignorant als "Uraufführung" plakatieren.
- Am Vormittag des 17. März, nur
wenige Stunden vor der Aufführung, richtet Hans Lauter auf
der 5. Tagung des Zentralkomitees der SED scharfe Attacken gegen
die Oper, die allerdings in der im Neuen Deutschland und
als Broschüre veröffentlichten Rede keinen Eingang
fanden. Nach diesem kulturpolitischen Grundsatzreferat Lauters, in
der die jüngste Kunstentwicklung der DDR nach Normativen des
Formalismus und Realismus bewertet wird, ergreift Arnold Zweig als
erster Diskussionsredner das Wort. Es nimmt nicht wunder,
daß der größte Teil seiner Wortmeldung bei der
Veröffentlichung der Zensur zum Opfer fiel, wie auch diese an
Eindeutigkeit nicht mangelnden Sätze:
-
- "Wenn Sie also ein Werk von Bert Brecht
mit der unerbittlichen Dichtergröße, mit dem Gericht
über den Feldherrn Lukullus, (...)wenn Sie ein solches Werk
heute auf der Bühne dargeboten bekommen, so haben Sie meiner
Meinung nach nicht das Recht, das Publikum dieser Stadt Berlin
davon abzusperren" 11.
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- Was dann folgte, war ein fauler
Kompromiß, der es scheinbar ermöglichte, daß alle
Beteiligten ihr Gesicht wahren konnten. Der Kompromiß war,
daß die Regierung der offiziellen Aufführung im Herbst
unter der Voraussetzung zustimmte, daß Brecht und Dessau am
Werk änderten. Als die Änderungen vorlagen, hielt sich
das staatliche Interesse daran in Grenzen, es ging vor allem um
das Prinzip, um die Machtfrage. Dies führte dazu, daß
die Lukullus-Kontroverse wie auch die nachfolgenden kultur-
und staatspolitischen Krisensituationen in öffentlichem
Diskurs nicht konfliktbereinigt, sondern unerledigt unter den
sprichwörtlichen Teppich gekehrt wurden. Diese sich 1951
schon abzeichnende Konflikt- und Dialogunfähigkeit auf beiden
Seiten führte dann schließlich im Verbund mit vielen
anderen Faktoren 1989 zum Zusammenbruch des
DDR-Staates.
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- Deutlich wird aus den inzwischen
zugänglichen Dokumenten, daß der Streit um die
Lukullus-Oper in einem viel breiteren politischen Kontext
eingebettet ist, als es die lange bekannten und eher
beschönigenden öffentlichen Äußerungen
Brechts und Dessaus vermuten ließen. Schließlich
treten aus dem Hintergrund der Lukullus-Debatte nun
schärfer auch jene Personen hervor, die mit bemerkenswertem
Geschick, Sturheit und gehöriger Zivilcourage für die
nicht gerade mutigen Brecht und Dessau stritten. Hier ist vor
allem Ernst Legal zu nennen, der ein Jahr später
erschöpft und zermürbt von seinen Ämtern
zurücktrat.
- Doch wie konnte es sein, daß sich
die Regierung, die Partei, zahlreiche Massenorganisationen,
namhafte Künstler und Akademiemitglieder ausschließlich
mit einer der Regierung "Ohrenschmerzen" bereitenden Musik
befassen konnte? Wozu der Aufwand? Merkwürdig ist, daß
sich im Entwurf der Rede Hans Lauters nur elf Tage vor der Tagung
kein einziger Hinweis auf die Lukullus-Oper finden
läßt. Stattdessen wird Brechts Inszenierung der
Mutter vom Januar 1951 untypischer Charaktere und Szenen
bezichtigt sowie die Staatsoperm-Inszenierung der Glinka-Oper
Ruslan und Ludmilla als formalistisch gerügt. Doch im
öffentlichen Vortrag Lauters am 17. März fehlt
plötzlich jegliche Kritik an Brecht, wenngleich Lauters
generelle Polemik gegen Proletkult-Tendenzen auch auf ihn
gemünzt sein dürfte.
- Stattdessen wird nun erstmals Dessaus
Lukullus-Musik scharf gerügt. Zu fragen wäre,
warum Brecht gegen Dessau ausgetauscht wurde, warum der
pazifistischer und sozialdemokratischer Positionen bezichtigte
Librettotext kurzfristig aus dem Schußfeld der
Formalismus-Kritik gezogen wurde. Durch wessen Veranlassung? War
dies ein taktischer Versuch, den international renommierten
Schriftsteller und Repräsentanten der DDR aus
Reputationsgründen zu schonen und stattdessen den damals
weniger prominenten Paul Dessau zu opfern? Unüblich war die
staatliche Kulturkritik am mehrdeutig Musikalischen allemal: hielt
sie sich doch bevorzugt an die scheinbar leichter bewertbaren,
"handfesteren" Künste: an Literatur, Filme, Bilder,
Plastiken, Theater und Architektur.
- Aber auch eine zweite Variante dieser
Hypothese wäre denkbar: sollten die Vorbereitungen eines
eigentlich Brecht geltenden Angriffs verhindert werden mittels
einer nun gegen Paul Dessau entfachten Polemik? Hielt jemand in
führender Position eine schützende Hand über
Brecht? Der Hypothese Gerhard Müllers, der in der Lukullus-
und Faustus-Kontroverse Anzeichen für einen
beginnenden Slansky-Prozeß auf dem Boden der DDR
sieht12, kann ich jedoch nicht folgen, da die Vielzahl
der mehr oder minder geheimen Regierungsdokumente im Kontext der
Lukullus-Oper einen solchen Schluß nicht
zulassen.
- Erwähnt sei am Rande, daß
Hans Lauter in der Kampagne gegen Eislers Faustus-Libretto
nicht mehr unter den Wortführern der Kritik zu finden war. Im
Mai 1953 wurde er aller Funktionen enthoben wegen angeblicher
Kollaboration mit der Gestapo. Seine Rehabilitation erfolgte
1956.
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- Am 12. Oktober 1951 wird die zweite
Fassung unter dem Titel Die Verurteilung des Lukullus an
der Deutschen Staatsoper Berlin öffentlich uraufgeführt.
Drei Monate später fand die westdeutsche Erstaufführung
der auch aus politischen Gründen bevorzugten ersten Fassung
in Frankfurt am Main statt. Die Textänderungen Brechts, die
auf eine klarere moralische Unterscheidbarkeit von Angriffs - und
Verteidigungskriegen abzielten, waren vom Umfang her eher
marginal, die Eingriffe Dessaus in die Musik, die allerdings am
Charakter der kritisierten Musik nichts änderten,
führten zu einer weiteren Werkfassung.
- In diesem Zusammenhang sind die
Presserezensionen beider deutscher Staaten aufschlußreich.
Während die westdeutsche Presse im März 1951 wegen des
Spielverbots der Oper sowie des beredten Schweigens der DDR-Medien
reichlich Argumentationshilfe bekommen und die
künstlerisch-politische Bevormundung Dessaus und Brechts
thematisiert hatte, wandelte sich schon bald der Tenor nach
Ankündigung der zweiten Premiere im Oktober 1951. Hatten die
Feuilletonisten noch Wochen zuvor mit dem Gerücht einer
reuevollen Rückkehr des verlorenen Sohnes Brecht in den
Westen gespielt, so gerieten nunmehr dessen Textänderungen,
die leichter zu fassen waren als die wesentlich gravierenderen in
der Musik, in die Nähe willfähriger Staatskunst.
Obendrein zeigte sich in den Rezensionen zur Frankfurter Premiere,
daß die Einwände der Kritiker erstaunlich ähnlich
denen ihrer Berufskollegen in der DDR waren.
- Sehr unterschiedlich jedoch wurde in
beiden deutschen Staaten die Aktualität des Werkes
interpretiert. So wurde sie in der DDR in eine mahnende Verbindung
mit (westlicher) Remilitarisierung, Koreakrieg und den
Nürnberger Prozessen gebracht. Dagegen griff unter
konservativen westlichen Kritikern neben politischer Polemik auch
jene Sichtweise um sich, welche die Oper als "reines,
untendenziöses Kunstwerk"13 ins Apolitische hinweglobten. Ein
knappes Jahr nach der Warnung Hans Lauters, daß Dessaus
Musik "objektiv denjenigen" nütze, welche "die
kriegslüsternen Feinde der Menschheit (sind)"14, wurde im
anderen Teil Deutschlands zur "reinen, interesselosen Betrachtung
des Kunstwerks"15 aufgefordert. Unter diesen polarisierten
Vorzeichen mußte die Oper noch lange nach 1951 ein
Fremdkörper in der gemeinsamen und zerrissenen
Kulturlandschaft beider Staaten sein. Schwierigkeiten mit der
Avantgarde waren damals ein durchaus einigendes Band
deutsch-deutscher Geschichte. Brechts Mitarbeiterin Käthe
Rülicke schrieb am 15. März 1951 empört und
hoffnungsvoll zugleich in ihr Tagebuch:
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- "Scheußlich, daß man das
Stück absetzen will - in zehn Jahren wird es eines der
berühmtesten sein" 16.
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- Die über vierzigjährige
internationale Rezeptionsgeschichte der Oper hat bewiesen,
daß sie so unrecht wohl nicht hatte.